KittenUpATrees Fotostorys

    • Fotostory
      Es war einer dieser besonders heißen Nachmittage, an denen selbst die anständigsten Mädchen in Seoul ihre gute Erziehung vergaßen und die Innenstadt in Sodom oder wahlweiße auch Gomorra verwandelten.




      Wo man auch hinsah blitzten nackte, lange Beine unter viel zu kurzen Röcken hervor. Und auch die zahlreichen tiefen Dekolletees ließen Männerherzen höher schlagen. Bei manchen Mädchen musste man sich sogar willkürlich fragen, warum sie sich überhaupt die Mühe machten, etwas anzuziehen. Ihre Ouftits entblößten mehr, als sie verdeckten. So war es auch bei einer Gruppe von Mädchen, die allesamt noch Schülerinnen sein mussten, aber aussahen, als würden sie mit ihren Körpern ihr täglich Brot verdienen.

      Lie awake in bed at night
      And think about your life
      Do you want to be different?
      Try to let go of the truth
      The battles of your youth
      cause this is just a game

      Eigentlich hätte man sich schon allein vom Hinsehen pädophil fühlen müssen, aber trotzdem gab es genügend - vor allem ältere - Männer, die sich nicht davon abhalten ließen, munter zu gaffen. Allerdings war noch keins der Mädchen in einem Alter, in dem man darüber nachdachte, sich des Geldes wegen einen älteren Mann zu suchen. Sehr viel wichtiger war es, dass ein Mann gut aussah und bestenfalls schon Auto fahren konnte. Und natürlich musste er in der Lage sein, seine minderjährige Freundin auf die angesagtesten Partys zu schmuggeln. Wenn er dann noch ein Bad Boy Image und eine Tätowierung hatte, war er der perfekte Mann, um für immer mit ihm zusammen zu sein. Nur für diese Jungs - die natürlich an warmen Sommertagen wie diesem an jeder Straßenecke standen und nur auf junge Mädchen mit kurzen Röcken und zwei Zentner Make Up im Gesicht warteten… nicht - hatten sich die Mädchen so aufgetakelt.
      Fröhlich gackernd setzten sie sich auf die Terrasse der Eisdiele, von der aus man den kompletten Platz, auf dem sich die Menschen tummelten, gut im Blick hatte.




      Aber nach zehn endlosen Minuten des aufmerksamen Beobachtens und Abcheckens sämtlicher männlicher Wesen, mussten sie feststellen, dass Edward und Jacob heute wohl nicht vor ihnen auftauchen würden, um ihnen einen romantischen Heiratsantrag zu machen. Aber noch wollten sie die Jagd nicht aufgeben.
      Die Ansprüche wurden ein klein wenig herunter geschraubt - nicht zu sehr, schließlich will man sich ja nicht unter Wert an einen Neville Longbottom verkaufen - und endlich wurde das lange Warten belohnt: Ein verdammt gut aussehender, junger Mann stieg aus seinem Wagen und hielt tatsächlich auf die Eisdiele zu.

      It's time to forget about the past
      To wash away what happened last
      Hide behind an empty face
      Don't ask too much, just say
      'Cause this is just a game

      Er hatte blondes Haar, weiche Gesichtszüge und wunderschöne, blaue Augen. Ein wahrer Bilderbuchschönling. Kein hässlicher Pickel - oder gar eine Narbe - verunstaltete sein Gesicht und die Nase war so gerade und perfekt, dass man ihn fast fragen wollte, welcher geniale Chirurg da Hand angelegt hatte (und welcher perfekte Animeheld das Vorbild gewesen war). Lediglich an seinem Modegeschmack musste noch gearbeitet werden. Zu seinen Jeans hatte er ein lockeres Hemd kombiniert, unter dem sich aber trotzdem noch deutlich ein offensichtlich viel zu protziger Gürtel abzeichnete. Aber das sprach dafür, dass er (noch) keine Freundin hatte, die ihm die Klamotten aussuchte. Trotzdem blickten die Mädchen sich vorsichtshalber nach einer bildhübschen jungen Frau um, die ihn schon sehnsüchtig erwartete. Aber es war keine mögliche Kandidatin zu entdecken. Man durfte also hoffen, dass dieses Prachtexemplar eines Mannes tatsächlich noch zu haben war. Und als ob das nicht schon genug nach einem total unrealistischem Mädchentraum klingen würde, steuerte der Traumprinz auch noch den Tisch gleich neben dem der Mädchen an.
      Wäre dieser heiße Sommertag ein Tag, wie jeder andere gewesen, dann hätte der Schönling sich vermutlich einen Erdbeereisbecher mit extra Sahne bestellt, hätte diesen innerhalb kürzester Zeit verschlungen und wäre wieder abgezogen, ohne die Mädchen - die ihm allesamt viel zu jung sein mussten - auch nur eines Blickes zu würdigen. Aber wenn dieser Tag irgendetwas nicht war, dann ein Tag wie jeder andere.




      Everyone's looking at me
      I'm running around in circles
      A quiet desperation's building higher
      I've got to remember this is just a game

      Plötzlich begann der Traumprinz die Knöpfe seines Hemds zu öffnen. Überrascht schnappten die Mädchen nach Luft und eine von ihnen quietschte sogar, in der freudigen Erwartung, jeden Moment den Sixpack des Jahrhunderts zu sehen. Und genau das bekamen sie auch. Wenn man solche Männeroberkörper sah, kam Frau nicht darum herum sich zu fragen, welcher Idiot Oberkörperbekleidung für Männer erfunden hatte. Doch da war noch etwas anderes. Etwas, das diesen wunderbaren Anblick massiv störte. Was unter dem Hemd noch wie ein protziger Gürtel ausgesehen hatte, entpuppte sich als eine Art Zeitschaltur, die um den makellosen Bauch des Schönlings geschnürt war. Sie stand auf 15 Sekunden. Und an dieser Zeitschaltuhr angeschlossen waren mehrere mit Klebeband umwickelte Röhren, die die Mädchen - Hollywood sei Dank - als Sprengkörper erkannten.
      Ohne länger zu zögern warf der Traumprinz sein Hemd beiseite und trat ein paar Schritte nach vorne, um möglichst genau zwischen der Straße und der Eisdiele zu stehen. Inmitten der Menschenmassen breitete er seine Arme aus, während die Zeitschaltuhr unaufhaltsam nach unten zählte.




      This is just a game
      This is just a game

      This is just a game
      This is…


      __________________
      Die Geschichte, die ich euch jetzt erzählen werde, ist so unglaublich, dass ich es nur zu gut verstehen könnte, wenn ihr mich für einen Spinner haltet. Irgendwie bin ich das ja auch. Womöglich ist genau das der Grund, warum so etwas ausgerechnet mir passieren musste…
      Es begann alles an einem warmen Sommernachmittag mitten im Juli. Noch war die Hitze zu ertragen, aber die Wettervorhersagen kündeten eine Flut aus Schweißausbrüchen für den August an. Glücklich konnte sich schätzen, wer ein gut funktionierendes Kühlsystem im Haus hatte. In meiner alten Wohnung wäre ich wohl nach zwei Tagen gestorben, aber das brauchte mich jetzt nicht mehr zu interessieren. Heute war der Tag, an dem ich in mein Loft, das ich mir in der alten Spraydosenfrabrik eingerichtet hatte, einziehen würde.
      Unruhig lief ich im Innenhof des Gebäudes auf und ab, darauf achtend, keine der zahlreicheren seltenen Pflanzenarten zu zertreten.




      Das Brennende Adonisröschen, die Schwarze Akelei… sogar der Kanarische Fingerhut fühlte sich hier wohl. Und das, obwohl es diese Gewächse in diesem Landstrich überhaupt nicht geben dürfte. Schon gar nicht in einer Großstadt. Und noch viel weniger auf einem Grundstück, auf dem jahrelang mit gefährlichen Chemikalien gearbeitet worden war. Und doch waren sie da und gediehen prächtig. Genau das war für mich der Grund gewesen, um mich für den Erhalt des halb verfallenen Fabrikgebäudes einzusetzen. Ein Abriss hätte den Garten zerstört, den sich Mutter Natur allen Widrigkeiten zum Trotz hier erschaffen hatte.
      Ich hörte, wie sich ein Wagen näherte und blieb stehen. All meine Muskeln verkrampften sich und ich starrte wie gebannt auf das Tor, das zur Straße hinaus führte. Mein Herz raste wie wild und meine Ohren waren so gespitzt, dass mein Trommelfell sicher einfach zerreißen würde, wenn jemand neben meinem Kopf mit den Fingern schnippen würde. Der Wagen kam immer näher. Er schien langsamer zu werden. Gleich würde ich ihn sehen können. Nur noch wenige Sekunden. Endlich tauchte die Schnauze eines grauen BMWs am linken Rand des Tors auf und… fuhr vorbei. Genau wie die letzten 50 Autos auch. Mit einer Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung lies ich die Schultern wieder sinken. Es klang vielleicht lächerlich, aber obwohl ich auf sie wartete war ich für jede Sekunde dankbar, in der sie noch nicht da war. Dabei gab es überhaupt keinen Grund, Angst vor ihr zu haben. Zumindest hoffte ich das. Genau genommen kannte ich sie noch gar nicht. Wir hatten nur ein paar Mal telefoniert. Ich erinnerte mich noch zu gut an ihren ersten Anruf. Es musste in etwa drei Uhr morgens gewesen sein, als das unmelodische Klingeln meines Handys mich aus dem Schlaf gerissen hatte.
      “Ich werde dir den Umbau der Fabrik in ein Loft finanzieren. Und ich werde gemeinsam mit dir dort wohnen.”
      Ich wusste nicht, welcher Teufel mich geritten hatte, einer vollkommen Fremden, die sich noch nicht einmal vorgestellt hatte, zuzustimmen.




      Vielleicht war es einfach die Müdigkeit gewesen. Vielleicht war es aber auch der Ton, in dem sie mir ihr Anliegen kund getan hatte. Nein, Anliegen war das falsche Wort. Es war ein klarer Befehl gewesen. Genauso wie alles, was sie mir bei darauf folgenden Telefonaten gesagt hatte, ein Befehl gewesen war. Sie hatte die komplette Bauleitung übernommen, ohne auch nur ein einziges Mal vor Ort gewesen zu sein. Und ich hatte einfach alles so gemacht, wie sie es wollte. Nicht, dass ich mit dem Ergebnis nicht zu frieden wäre. Es ist alles großartig geworden. Von der Elektronik bis hin zur Einrichtung war alles absolut perfekt. Aber irgendwie war es schon krank, dass ich einer Frau, die ich noch nie gesehen hatte, blind vertraut hatte. Der Moment, in dem ich im Innenhof der Fabrik stand und auf sie wartete war tatsächlich der erste, indem ich darüber nachdachte, wie dämlich ich doch gewesen war. Ich hatte die Autorität dieser Frau kein einziges Mal hinterfragt und auch jetzt wartete ich geduldig auf sie ohne zu wissen, ob sie überhaupt kommen würde. Vielleicht war alles nur ein böser Scherz gewesen. Ein ziemlich bescheuerter Scherz, denn alle Rechnungen waren termingerecht bezahlt worden und ich war als alleiniger Eigentümer des Grundstücks eingetragen. Langsam begann ich an dem Verstand meiner Auftraggeberin zu zweifeln. Vielleicht eine Wahnsinnige mit zu viel Geld, die Freude daran hatte, unschuldige junge Männer zu versklaven…
      “Hallo Gregor.”
      Vor Schreck machte ich einen großen Sprung zur Seite, wobei ich es nicht schaffte auf meinen Füßen zu landen und stattdessen ziemlich unelegant über den Boden rollte. Dabei verlor ich meine Brille und da ich ohne sie so blind war, wie ein Maulwurf, konnte ich nicht mal sehen, was - oder auch wer - der Ursprung dieser Stimme war. Verzweifelt tastete ich den Boden ab und griff dabei mehrmals in irgendwelche schlammige Pfützen. Wenn ich gewusst hätte, dass ich an dem Tag noch auf allen Vieren durch die Gegend kriechen würde, dann hätte ich mir das Gießen der Pflanzen erspart. Endlich ertastete ich etwas, das ich als meine Brille erkannte. Erleichtert setzte ich sie mir auf die Nase und versuchte dabei, die Gläser nicht noch mehr zu verschmieren, als sie es durch den Sturz sowieso schon waren.
      Das erste, das ich erkennen konnte, waren Beine. Und was für Beine.




      Sie steckten in hochhackigen Stiefeln und mündeten nach oben hin in zauberhaft weiblichen Hüften. Dank der kurzen Shorts konnte man genügend nackte Haut sehen, um einen erwachsenen Mann für eine ganze Weile außer Gefecht zu setzen. Auch die schmale Taille und der üppige Busen, die ich beim aufwärts Wandern meiner Blicke erkennen konnte, waren nicht zu verachten. Ich schluckte. So einen Luxuskörper hatte ich bisher nur in meinen Träumen von Nahem gesehen. Überhaupt war ich noch nie einer Frau so nah gewesen - außer meiner Mutter, versteht sich. In der Regel wollten die Mädels nichts mit einem Looser wie mir zu tun haben. Und jetzt stand plötzlich eine Frau vor mir, die nicht nur rattenscharf war, sondern auch noch mit mir zusammen ziehen wollte…
      “Bist du fertig mit Gaffen? Ich hab keine Lust, hier den ganzen Tag rumzustehen.”
      Ihre strenge Stimme riss mich aus meinem Trancezustand. Eilig rappelte ich mich auf.
      “E… Entschuldige bitte! Ich bin Gregor, wir haben telefoniert. Schön, dich endlich persönlich kennen zu lernen.”
      Ich streckte ihr meine Hand entgegen, als mir klar wurde, dass diese noch immer voller Schlamm war. Eilig wischte ich sie an meiner Hose ab. Aber auch nachdem meine Hand wieder in einem einigermaßen sauberen Zustand war, machte die Schönheit keine Anstalten, sie zu ergreifen.
      “Ich weiß wer du bist.”, sagte sie knapp. Dann wandte sie sich den Pflanzen zu, die um uns herum wuchsen. Erst jetzt fiel mir auf, dass ihr Körper nicht das einzig Schöne an ihr war. Auch ihr Gesicht schien absolut perfekt zu sein. Die vollen Lippen, die zarte, kleine Nase und dann erst die Augen… Zweifelsohne trug sie Kontaktlinsen, denn so ein helles, strahlendes rosa war alles andere, als natürlich. Vermutlich gehörte sie der Punk-Szene an. Dafür sprach auch ihr verrückter Haarschnitt.
      “Gib mir den Schlüssel.”
      Sie streckte mir ihre Hand entgegen und ich beeilte mich, ihrem Befehl nachzukommen. Beinahe hätte ich den Schlüssel auch noch in den Matsch geworfen, aber sie fing ihn auf, bevor er auch nur die Chance hatte, die ersten Zentimeter zu fallen. Dann wandte sie sich um und stieg die Treppe nach oben, die zur Eingangstür führte.
      “Ähm… ich bin Gregor.”, wiederholte ich sinnloser weise, während ich ihr nacheilte.
      “Und… wie heißt du?”
      Zuerst schien es, als würde sie meine Frage einfach ignorieren. Doch dann wandte sie sich um und blickte mich mit ihren leuchtenden Augen an, sodass ich fast das Gleichgewicht verloren hätte und die Treppe hinunter gefallen wäre.
      “Mein Name ist Luzi.”


      Nachdem Luzi ihr Zimmer bezogen hatte, saßen wir gemeinsam im Wohnbereich. Also, um es genauer auszudrücken: Sie saß im Wohnbereich und las ein Buch, während ich sie vom oberen Treppenabsatz aus beobachtete.




      Ich hätte sie gerne näher kennen gelernt, aber ich wagte es einfach nicht, sie anzusprechen. Offensichtlich hatte sie gerade ohnehin keine Zeit. Das Buch, das sie las war bestimmt hoch spannend. Viel spannender, als ich. Ach verdammt, es war wirklich immer dasselbe mit mir. Seit dieser Blödsinn mit der Pubertät und dem ganzen Drumherum angefangen hatte, schaffte ich es einfach nicht mehr, normal mit einem Mädchen zu reden. Nicht, dass es mir vorher gut gelungen wäre. Ich hatte immer schon Schwierigkeiten mit der Kontaktknüpfung gehabt, aber die Sache mit der Sexualität hatte alles noch bedeutend schwerer gemacht. Meine Mutter hatte sich immer gewundert, warum ein “bildhübscher Junge”, wie ich nie ein Mädchen mit nach Hause brachte. Ich hab sehr früh erkannt, dass sie das nur sagte, weil Mütter ihre Kinder allgemein immer für hübsch hielten, auch wenn sie aussahen wie eine Mischung aus Quasimodo und Shrek. Ganz so schlimm schätzte ich mein Äußeres zwar nun auch nicht ein, aber eine Schönheit war ich mit meinem aschefarbenen Haar (ne bessere Bezeichnung für die Farbe hab ich trotz 26-jähriger Suche nicht gefunden) und den nichtssagenden blaugrauen Augen sicher nicht. Und dass ich ausgerechnet in dem Moment, in dem eine absolute Klassefrau nur wenige Meter von mir entfernt saß über so etwas nachdenken musste, machte die Situation auch nicht gerade leichter.
      “Ach verdammt! Jetzt reiß dich endlich zusammen und sei ein Mann!”, versuchte ich mir selbst Mut zuzusprechen, als ich dazu ansetzte, die Treppe nach unten zu steigen. Allerdings schaffte ich es dabei, mich dermaßen zu konzentrieren, dass ich vor lauter Überspanntheit die erste Stufe verfehlte und den Weg nach unten daher rollender Weise zurück legte. Na wenn das kein spektakulärer Auftritt war…
      Ich rappelte mich schnell wieder auf und blickte zu Luzi, in der mehr als abwegigen Hoffnung, dass sie noch immer in ihr Buch vertieft war und meine ungeplante Showeinlage einfach übersehen hatte. Natürlich war das nicht der Fall. Wunderbar. Spätestens jetzt musste sie mich für einen totalen Versager halten.
      Ich versuchte so zu tun, als ob das eben nie passiert wäre und setzte mich möglichst lässig zu ihr auf die Couch. Das war nicht gerade einfach, vor allem, da allein ihre Gegenwart meinen Körper zu überdurchschnittlicher Transpiration anregte. Verzweifelt suchte ich nach Worten, mit denen ich meine Nervosität überspielen konnte und ich fand sie auf dem Einband des Buches, das nun zu geklappt in Luzis Händen lag.
      “Du interessierst dich für Schwarze Löcher? Cool! Ich studier Astrophysik und beschäftige mich derzeit viel mit ihrer Entstehung.”




      “Ich weiß.”
      Mit diesen Worten erstickte sie meinen Versuch, eine Konversation zu führen, im Keim. Auch wenn das jetzt unsinnig klingen mag, aber es wäre vermutlich leichter, ein Gespräch mit dieser Frau zu beginnen, wenn sie nicht antworten würde.
      “Du weißt wohl alles…”
      Ich versuchte die Aussage, von der ich selbst nicht so recht wusste, ob es eine Frage sein sollte, mit einem Lächeln zu unterstreichen, was mir aber nicht so recht gelang.
      “Nein, nicht alles.”, widersprach sie. Ich hoffte, sie würde weiter sprechen und vielleicht erläutern, was sie nicht wusste, aber das hatte sie offensichtlich nicht vor und so entstand statt einem angeregten Gespräch nur unangenehmes Schweigen. Glücklicherweise rettete mich das Leuten der Türglocke.
      “Ah! Das müssen meine Freunde sein!”, sagte ich erleichtert.
      “Entschuldige, das wollte ich dir eigentlich noch sagen. Sie sind hier, für ne kleine Lofteinweihungsparty. Nichts Großes.”, fügte ich noch schnell hinzu, als ich sah, wie sie eine Augenbrauche hochzog.
      “Wenn du willst, kannst du uns ja Gesellschaft leisten.”
      Hoffnungsvoll sah ich sie an, aber ihre Augenbrauch wanderte nur noch ein Stück höher.
      “Und euch dabei zusehen, wie ihr irgendwelche Fantasyspiele auf der S-Box zockt?”
      Ich hätte ihr gern widersprochen und gesagt, dass wir sehr viel coolere Sachen machen würden, aber ehrlich gesagt war S-Box spielen tatsächlich der Plan für den heutigen Abend gewesen. Also stammelte ich irgendwelche unverständliche Erklärungsversuche vor mich hin, bis sie offensichtlich genug davon hatte und aufstand.
      “Ich geh duschen. Und du solltest deinen Freunden besser auf machen.”
      Mit diesen Worten verschwand sie ins Badezimmer.
      Enttäuscht tat ich was sie gesagt hatte (mal wieder). Meine Freunde hatten inzwischen weitere drei Male geklingelt und blickten mich ungeduldig an, als ich ihnen endlich die Tür öffnete.
      “Na endlich!”
      Riko und Bogomir stürmten an mir vorbei und suchte sofort nach dem Fernseher, um dort die S-Box anzustöpseln.




      Da man von der Haustür aus den Wohnbereich einsehen konnte, dauerte ihre Suche nicht allzu lange.
      “Das is ja mal ne heiße Kiste!”, meinte Bogomir anerkennend.
      “In der Größe is Prinzessin Zelda sicher noch schärfer!”
      Seine Eltern hatten es sicher nur gut gemeint, als sie ihm den Namen Bogomir - berühmte Gottheit - gegeben hatten. Aber tatsächlich hat es nur dazu geführt, dass er schon im Kindergarten nur getriezt worden war.
      Riko erging es ähnlich, auch wenn bei dem gebürtigen Amerikaner eher sein starkes Übergewicht, als sein Name der Grund dafür gewesen sein dürfte.
      Neben unsrer Leidenschaft für Videospiele war das wohl unsre größte Gemeinsamkeit: Wir hatten alle keine leichte Kindheit hinter uns. Aber andererseits war es genau das, was uns zusammengeschweißt hatte. Wir kannten uns aus einem Internetforum und die Freundschaft, die zwischen uns entstanden war, hatte uns das Außenseiterdasein sehr viel einfacher gemacht.
      “Wo ist Cedric? Ist er nicht mit euch her gefahren?”, fragte ich. Cedric war der vierte in unserem Bund.
      “Ach stimmt ja. Ich soll dir ausrichten, dass er heute nicht kommt.”
      Riko ließ sich auf die Couch fallen, während Bogomir die S-Box an den Fernseher anschloss.
      “Er ist zu seinen Eltern gefahren, weil doch bald der Todestag seines Bruders ist.”
      Das hatte ich fast vergessen. Vor knapp einem Jahr hatte Cedrics älterer Bruder sich selbst und zahlreiche unschuldige Passanten in die Luft gesprengt. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich noch nicht mal gewusst, dass er einen Bruder gehabt hatte. Und auch jetzt sprach Cedric nie von ihm. Aber man hatte ihm damals schon sehr deutlich angemerkt, wie sehr ihn das alles mitgenommen hatte.
       
      Eine halbe Stunde später war die vorübergehende Bedrücktheit wegen Cedric vollkommen vergessen und wir widmeten uns unserer Lieblingsbeschäftigung: Zocken.
      Meine süße Asiatin war gerade dabei, bei ‘Dead ob alive’ gegen Bogomirs rassige Blondine zu verlieren, als er plötzlich seine Deckung vernachlässigte und ich mit einem einzigen Schlag die Hälfte seines Energiebalkens auslöschte. Dann legte ich los. Ein Kick, ein Tritt und schließlich ein Schlag voll ins Gesicht. Blondie ging zu Boden und meine Asiatin stieg als Siegerin aus dem Ring.
      “Ha, ich hab dich voll geowned, Alter!”
      Ich warf mich in Siegerpose, und sah zu Bogomir in der Erwartung, meinen Freund am Boden liegend vorzufinden, aber stattdessen ignorierte er mich vollkommen und starrte auf einen Punkt, direkt hinter mir. Verwirrt drehte ich mich um. Was konnte so elementar sein, dass es Bogomir sogar vom spielen ablenkte? Eigentlich hätte ich die Antwort auf diese Frage kennen müssen…


      Sie trug nichts weiter als einen dünnen Spitzen BH und eine kurze Hose, bei der ich mir nicht sicher war, ob sie zu einem Schlafanzug gehörte oder ebenfalls ein Unterwäscheteil war. Aber eigentlich war die Kleidung ziemlich egal. Viel interessanter war die nackte Haut, die dadurch nicht versteckt wurde. Genau wie Riko und Bogomir konnte ich nicht anders, als die sinnlich geformten Brüste, die da wie auf einem Silbertablett vor uns lagen, anzustarren. Man sollte meinen, dass es Luzi zumindest ein klein wenig unangenehm war, die ganze Zeit beobachtet zu werden, aber es schien sie nicht im geringsten zu stören. Ohne uns in irgendeiner Weise Beachtung zu schenken, ging sie an uns vorbei und in Richtung Bar, wo sie sich einen Drink zubereitete.
      “Hey, Puppe, bring mir bitte auch was mit, wenn du deinen heißen Ar*** hierher bewegst. Woohoo on the Beach wäre super.”
      Bogomirs plumpe Anmache hätte vermutlich auch dann keine Wirkung gezeigt, wenn er sie nicht gestottert hätte. Sogar mir - der ich ja wirklich nicht viel Ahnung von Frauen hatte - war klar, dass keine Frau, die etwas auf sich hielt, auf so einen Spruch ansprang. Ich machte mich also darauf gefasst, dass Luzi jeden Moment hinter der Bar hervor springen und Bogomir mit demselben Schlag zu Boden befördern würde, wie es meine Asiatin mit seiner Blondine gemacht hatte. Aber das genaue Gegenteil war der Fall. Und das erschreckte mich fast noch mehr als die Tatsache, dass Bogomir einen gezielten Schlag von Luzi vermutlich nicht überleben würde. Sie lächelte. Nicht nur das. Sie warf sich auch noch sexy in Pose und verschlang Bogomir förmlich mit ihren Blicken, während ich mir in Gedanken in den Allerwertesten biss.




      Wenn ich gewusst hätte, dass es so leicht sein kann, an eine Frau heran zu kommen, dann hätte ich diese Methode schon längst ausprobiert. Ich hörte, wie Riko schluckte und Bogomir hatte begonnen unkontrolliert zu zittern, als Luzi mit verführerischer Stimme antwortete.
      “Hol dir deinen beschissenen Drink doch selbst, du scheiß Wichser. Aber vorher tu mir doch den Gefallen und spring aus dem Fenster.”
      Als mein Gehirn es endlich schaffte, den heißen Anblick von dem Inhalt ihrer Aussage zu trennen, wandte ich mich entsetzt zu Bogomir um, in der Überzeugung, dass er tun würde, was sie ihm befohlen hatte. Aber glücklicherweise schien sein Gehirn dezent schneller zu arbeiten, als das meine, denn sein hoffnungsvolles Lächeln war der Enttäuschung gewichen und mit hochrotem Kopf setzte er sich zurück auf die Couch. Riko tat es ihm gleich und Luzi garnierte ihre Bloody Mary noch mit einer Kirsche, bevor sie sich auf den Weg in ihr Zimmer machte. Doch plötzlich hielt sie inne und lauschte. Ich spitzte ebenfalls meine Ohren, aber ich konnte absolut nichts hören. Vielleicht hatten Frauen einen besonderen Radar, der das Brechen von Männerherzen wahrnehmen konnte. Bei Riko und Bogomir dürfte sie mit ihrem Verhalten zumindest genau das erreicht haben.
      “Scheint, als würden die ne Straße weiter ne fette Party geben.“, meinte sie.
      “Woher willst du das wissen?”
      Ich lauschte noch angestrengter, aber da war nach wie vor absolut nichts zu hören. Und ich war mir sicher, dass auch meine beiden Freunde keine Partygeräusch wahrnehmen konnten. Trotzdem waren sie aufgesprungen.



      “Genau, die Party! Da wollten wir doch heute noch hin, nicht wahr Gregor?”
      Riko stieß mich in die Seite und auch wenn ich dadurch nicht für eine Sekunde die Fähigkeit zu atmen verloren hätte, wäre mir klar gewesen, was er und Bogomir bezweckten. Sie wollten vor Luzi nicht als Looser da stehen, die ihre Freitagabende damit verbrachten, Videospiele zu spielen. Das konnte ich ja grundsätzlich nachvollziehen, aber sich deswegen auf eine Party von irgendwelchen Fremden einzuladen hielt ich nicht gerade für eine gute Idee.
      “Warum kommst du nicht mit?”, fragte Bogomir an Luzi gewandt und ich spürte, wie mir übel wurde. Na wunderbar! Dann war sie auch noch live mit dabei, wenn wir hochkant wieder rausgeworfen werden würden.
      Bitte, bitte, bitte lieber Gott! Mach, dass sie ‘Nein’ sagt.
      Aber meine Gebete wurden nicht erhört. Nach einer kurzen Überlegpause - die eher rhetorischer Natur war - nickte sie.
      “Warum eigentlich nicht.”
      “Super!”
      Riko klatschte begeistert in die Hände.
      “Dann mal los! Ohne uns kann die Party ja noch gar nicht richtig angefangen haben. Die warten sicher schon alle.”
      Oh ja, die warteten alle nur darauf, uns wieder vor die Tür zu setzen. Warum nur immer ich?
      Luzi schmunzelte, bevor sie antwortete.
      “Wenn es euch recht ist, werde ich mir vorher noch etwas anziehen. Ich finde meinen Körper zwar auch scharf, aber ich hab mal gehört, dass Exhibitionismus in der Öffentlichkeit nicht so gut ankommt.”
      Mit diesen Worten verschwand sie nach oben und ich hörte, wie ihre Zimmertür ins Schloss fiel. Wütend wandte ich mich zu meinen Freunden um.
      “Was habt ihr euch dabei gedacht?”, flüsterte ich so leise, dass ich es selbst kaum verstand. Aber wenn Luzi von hier aus die Partygeräusche hören konnte, war es für sie sicher auch kein Problem, von ihrem Zimmer aus die Gespräche, die im restlichen Loft statt fanden zu belauschen.
      “Wir können uns doch nicht auf irgendeine fremde Party einschleichen! Schon gar nicht durch den Vordereingang, oder meint ihr, Luzi wird keinen Verdacht schöpfen, wenn wir versuchen über irgendwelche Zäune und durch Fenster zu klettern?”



      Aber die Jungs schienen meine Einwände überhaupt nicht wahrzunehmen.
      “Luzi heißt sie also.”
      Bogomirs Augen wurden so glasig, dass es direkt gefährlich aussah.
      “Was für ein wunderschöner Name.”
      “Komm wieder zur Besinnung, Mann!”
      Ich packte ihn an den Schultern und begann ihn kräftig zu schütteln. Sein Blick klärte sich wieder und er schlug meine Arme zur Seite.
      “Lass das Alter! Wir kommen da schon irgendwie rein. Vor allem, wenn wir ne Sahneschnitte, wie Luzi dabei haben. Glaubst du echt, irgendjemand würde so ne Frau rauswerfen?”
      “Dann lassen sie nur sie rein und uns nicht!”, fauchte ich. Ich hätte die Probleme an dem überaus schlechten Plan meiner Freunde gern noch weiter ausgeführt, aber das Räuspern, das ich plötzlich hinter mir hörte, lies mich herum fahren.
      Luzi stand auf der untersten Treppenstufe und blickte zu uns herüber. Sie trug ein knappes silberfarbenes Kleid und sah - so unglaublich das auch klang - noch viel schärfer aus als zuvor. Diese Frau brauchte eindeutig einen Waffenschein für ihr Sexappeal.
      Nachdem weitere Sekunden verstrichen, in denen ich und meine Freunde die Schöne einfach nur mit offenen Mündern anstarrten, ergriff sie endlich das Wort.
      “Worauf warten wir noch? Ich dachte, die Party wartet schon auf euch!”

      Wir waren bereits einige Minuten unterwegs, bis auch meine Ohren endlich den lärmenden Bass vernahmen. Nicht nur das. Ich sah auch das bunte Flackerlicht, das durch die Fenster einer der zahlreichen kleinen Wohnungen eines Studentenwohnheims drang. Das selbe Studentenwohnheim, in dem ich bis vor ein paar Tagen noch gewohnt hatte. Und die Wohnung, in der die Party stattfand, war die Wohnung, die direkt neben meiner ehemaligen Bleibe lag.



      Ich spürte, wie die Übelkeit in mir hoch stieg. Nur zu gut erinnerte ich mich an meinen liebenswerten Nachbarn, wegen dem ich jeden Tag eine Stunde früher aufgestanden war, um in der Uni zu sein, bevor ich die Chance hatte, ihn zufällig am Flur oder auf der Straße zu treffen.
      Jake Terrell - Nein, er war kein Schläger. Zumindest nicht, wenn er nüchtern war. Er war auch nicht der Typ, der früher seinen schwächeren und unterlegenen Mitschülern (also mir) das Pausengeld geklaut hätte. Das hatte er sicher nie nötig gehabt. Nein, bestimmt haben ihm die Mädchen immer gern freiwillig was abgegeben. Und die Jungs vermutlich auch. Er war bei allen beliebt, sportlich, sah gut aus… und wenn ich noch länger von seinen Qualitäten schwärme, hab ich bald 50 Seiten damit voll und ihr haltet mich für schwul. Also hier die Kurzfassung: Er hat alles, was ich nicht habe. Natürlich nur die positiven Dinge. Denn wie wir alle wissen, ist das Leben wahnsinnig gerecht und auf jeden tollen Menschen muss es mindestens einen Versager geben. Und Gewinner wie Jake Terrell haben offensichtlich einen riesigen Spaß daran, Versagern wie mir immer wieder aufs neue zu zeigen, wie toll sie sind. Und das ist demütigender, als Schläge zu kassieren, glaubt mir.
       
      Ich packte Riko am Arm und flüsterte in sein Ohr.
      “Wir können da nicht hin! Ich kenn den Kerl, der lässt uns auf keinen Fall rein!”
      Während ich sprach behielt ich Luzi, die ein Stück voran ging - und uns damit den einmalig schönen Anblick ihres wohlgeformten Hinterns gönnte - genauestens im Auge. Eigentlich war ich mir zu dem Zeitpunkt schon sicher, dass sie alles, was ich sagte genau hörte, egal wie sehr ich mich bemühte leise zu sprechen. Genauso wie sie wusste, dass wir nicht auf die Party eingeladen waren und auch nicht wussten, wo sie stattfand. Warum sonst sollte sie voran laufen, anstatt sich von uns den Weg zeigen zu lassen? Aber aus irgendeinem Grund ignorierte sie meine Sorgen einfach und schürte diese damit nur noch mehr. Womöglich war das alles ein abgekartetes Spiel? Oder eine Falle? Vielleicht hatte Jake mir diese Traumfrau geschickt, um mich in seine Wohnung zu locken und dort zu demütigen! Vielleicht würde er mir irgendwelche Drogen verabreichen, die meine Sinne betäuben würden! Vielleicht würde er mich dann irgendwelchen hungrigen Raubtieren vorwerfen! Vielleicht war es schon lange sein Plan gewesen mich zu töten!!!
      Vielleicht wurde ich aber auch einfach nur langsam aber sicher paranoid…
      “Wir kommen da schon rein.”, antwortete Riko mit fester Stimme. Und DAS war wirklich ungewöhnlich für ihn. Ich meine, wir sprechen hier nicht von irgendjemanden. Wir sprechen von Riko. Und Riko ist niemand, der sich so einer ungewissen Sache plötzlich einfach so mal eben sicher ist. Es war, als wäre er besessen. Besessen von der Schönheit dieser… dieser… naja, dieser Schönheit eben!




      Irgendwie konnte ich ihm das ja auch nachempfinden. Ich fühlte mich in ihrer Nähe ja auch irgendwie… naja… anders. Aber trotzdem hielt meine Panik vor dem, was passieren könnte, mich davon ob, vollkommen den Verstand zu verlieren. Leider waren meine beiden Freunde nicht mit dieser Panik gesegnet und rannten mit offenen Augen in ihr Verderben. Und ich? Ich konnte nicht anders, als ihnen zu folgen…
       
      Wir erreichten den Eingang des Wohnblocks und schon hier trafen wir auf einige Betrunkene Raucher, die sich gerade angeregt darüber unterhielten, dass Nikotin besser half als Aspirin. Eine Wirkung, die ich zu bezweifeln wagte. Aber zumindest lenkte sie ihr Gelalle von den vier ungebetenen Gästen ab, die das Haus betraten.
      Obwohl ich erst vor wenigen Tagen ausgezogen war, kam mir das Treppenhaus eigenartig fremd vor. Aber vermutlich lag das in erster Linie an dem süßlichen Geruch des Shishatabaks, der sicher auch mit der einen oder anderen illegalen Droge gestreckt worden war und den vielen attraktiven, knapp bekleideten Frauen, die auf den Treppenstufen saßen. So etwas war nicht Bestandteil der Welt, in der ich lebte. Aber für Jake war das ganz normal.
      Wir erreichten den zweiten Stock, im dem die Party stattfand.




      Offensichtlich war die Wohnung den zahlreichen Gästen zu klein geworden, denn schon auf dem Flur tummelten sich Menschen, die redeten, tanzten, lachten und wenn mir meine Augen bei dem schummrigen Licht keinen Streich spielten, dann ging in einer Ecke ein Paar gerade ziemlich zur Sache. Ich wollte einen zweiten Blick riskieren, aber die Menschenmassen drängten sich vor die Szene und als mir plötzlich eine dürre Blondine ihre unnatürlich großen Brüste ins Gesicht streckte, beschloss ich, mich doch lieber auf den Boden zu konzentrieren. So konnte ich wenigstens auch gleich meinen hochroten Kopf verstecken. Wobei das vermutlich sowieso niemandem aufgefallen wäre. Absolut niemand schenkte mir oder meinen beiden Freunden auch nur die geringste Beachtung. Auf Luzi dagegen waren einige lüsterne Augenpaare gerichtet und sie erntete viele anerkennende Pfiffe. Der eine oder andere ganz mutige Kerl versuchte sogar sie anzugraben, aber jeder von ihnen wurde einfach eiskalt ignoriert. So führte die scharfe Anführerin unserer Gruppe uns immer tiefer hinein in diesen Sündenpool namens ‘Studentenparty’. Fast, als würde sie sich hier auskennen. Erneut entflammte mein Misstrauen. Jetzt fehlte wirklich nur noch, dass - à la Carrie von Stephen King - irgendetwas flüssiges, rotes und vor allem stinkendes auf uns herunterprasselte. Eilig suchte ich die Decke nach irgendwelchen dubiosen Eimern oder ähnlichen Vorrichtungen ab, wurde aber nicht fündig. Auch sonst sah alles nach einer ganz und gar gewöhnlichen Party aus. So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte keine Fallgruben, Tretmienen, über den Boden gespannte Seile, die bei Berührung einen Mechanismus auslösten, bei dem ein Beil von der Decke segelte und den Kopf des Opfers spaltete… Ich konnte wirklich nichts dergleichen finden.
      “Hey, ihr Freaks! Was habt ihr hier verloren? Ihr seid nicht eingeladen.”
      Vor Schreck machte ich einen Satz zur Seite und kollidierte dabei mit einem heftig knutschenden Pärchen. Glücklicherweise hatten sich die Hände des männlichen Parts so tief unter der Bluse seines Weibchens vergraben, dass er sich nicht schnell genug befreien konnte, um mir für die Störung zwei oder auch drei blaue Augen zu verpassen. So hatte ich genug Zeit, um mein Gleichgewicht wieder zu finden, und so zu tun, als ob nichts passiert wäre. Allerdings schützte mich das nicht vor Jakes dunkelblauen Augen, die die Mädchen so sehr liebten - vor allem in der Kombination mit seinen schwarzen Haaren - und die mich jetzt aber mit einem vernichtenden Blick ansahen.


      Klangfarben schrieb:

      Die Geschichte ist einfach fantastisch, Kitten!

      Ich bin schon ganz gespannt wie es weiter geht.
      Du schreibst doch weiter, oder?

      Neugierige Herbstgrüße von der Küste

      Erst mal dankeschön für das Lob! Es freut mich, dass dir die Geschichte gefällt :)

      Und natürlich schreibe ich weiter! ;) Ich hab momentan nur sehr viele andere Dinge im Kopf und finde kaum die Zeit zum Schreiben. Aber ich hoffe, dass sich das bald wieder ändert und ich euch regelmäßig mit Kapiteln beglücken kann :)
      “Verpisst euch.”
      Ich wollte Jakes überaus freundlicher Aufforderung gerade nachkommen, als ich aus den Augenwinkeln heraus sah, wie Bogomir ein paar Schritte auf Jake zu ging. Mir schwante Übles. Und als mein Freund dann auch noch den Mund auf machte, um einen gestotterten Beschwichtigungsversuch von sich zu geben, hätte ich am liebsten laut aufgeschrien.
      “Ich kann deine… Ihre Wut verstehen. Es war nicht korrekt von uns, uneingeladen zu dieser Privatveranstaltung zu erscheinen. Aber ich bin mir sicher, wir können uns auf friedlichem Wege einigen. Vielleicht können meine Freunde und ich uns mit einem angemessenen Beitrag an den Feierlichkeiten beteiligen…”
      Natürlich ließ sich Jake nicht von Bogomirs Geschwafel beeindrucken. Stattdessen ballte er die Hand zur Faust, um uns zu zeigen, wie sein ‘friedlicher Weg’ aussah. Doch als ich mir vor meinem inneren Auge schon mit Bogomir und Riko ein Krankenzimmer oder alternativ eine Beerdigung teilte, stellte sich plötzlich Luzi zwischen Jake und sein erstes Opfer. Eigentlich hätte nun sie den Schlag abbekommen müssen. Aber irgendwie schaffte sie es, die angreifende Faust mit einer geradezu zärtlichen, aber dennoch bestimmten Bewegung zu stoppen.
      “Die Jungs sind mit mir hier.”, sagte sie mit klarer, ernster Stimme.



      Jakes verwirrter Blick mit dem er Luzi maß, ließ mich darauf schließen, dass auch sie nicht auf der Gästeliste stand. Trotzdem reichte ihm ihre knappe Ansage - in Kombination mit ihrem atemberaubend scharfen Äußeren- offensichtlich aus, denn mit einem Mal entspannten sich seine Züge und er setzte sein schönstes Sunnyboy Lächeln auf.
      “Dann ist das natürlich was anderes. Aber ihr habt ja noch gar nichts zu trinken. Darf ich euch die Bar zeigen?”
      Natürlich meinte er mit “euch” Luzi. Und das machte er unmissverständlich klar, indem er seinen Arm um sie legte und mit ihr in der Menge verschwand. Uns ließ er einfach stehen. Ich wusste gar nicht, was mich am meisten schockieren sollte.
      Hinter Tür Nummer eins hätten wir: Die eiskalte Luzi sorgt dafür, dass wir nicht verprügelt werden.
      Hinter Tür Nummer zwei befindet sich: Jake lässt sich binnen Sekundenbruchteilen von Luzi beschwichtigen.
      Und last but not least, Tür Nummer drei: Luzi lässt sich von diesem Idioten abschleppen.
      Jetzt müsst ihr euch entscheiden! Eins, zwei oder drei. Letzte Chance… vorbei! Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht. Und es ist… GENAU! Alle drei eben gesehenen Optionen sind absolut unglaublich und unrealistisch und doch eben passiert! Herzlichen Glückwunsch! Sie haben ein paar nutzlose goldene Bälle gewonnen, die sie am Ende der Sendung gegen irgendeinen materiellen Schrott, dem Sie nach zwei Wochen keine Beachtung mehr schenken, umtauschen können. Yeah!
      Naja, sehen wir das ganze Mal von seiner positiven Seite: Immerhin sind wir so einigen bösen Schmerzen entgangen. Ist doch super. Leider waren meine beiden Freunde weit weniger glücklich darüber.
      “Was ist denn das für ein arroganter Mistkerl? Was findet Luzi nur an dem?”, fragte Rico aufgebracht.



      Ich hätte ihm da schon so einige Antworten geben können, aber ich behielt sie lieber für mich. Zumal ich hoffte, dass diese Enttäuschung meine Freunde dazu brachte, diese Party auf schnellstem Wege verlassen zu wollen. Aber die Worte blieben mir einfach im Hals stecken, als mich plötzlich jemand anrempelte. Ich wollte schon davon laufen, denn sicher würde der Rempler mir die Schuld geben. Aber dann…
      “Entschuldigung, war keine Absicht.”
      Nicht nur, dass der Rempler - oder eher die Remplerin - sich entschuldigt hatte überraschte mich. Nein. Ich kannte diese Stimme. Und obwohl ich vorgewarnt war, raubten diese herrlich schönen braunen Augen mir doch den Atem.
      “Julia… ich… äh… schon gut! Ich muss mich entschuldigen! Ich hätte hier nicht so rum stehen dürfen…”
      Zuerst schien sie leicht verwirrt. Meine Mundwinkel rutschten ein Stockwerk nach unten. Genau, wie mein Herz. Sie erkannte mich nicht mehr. Dabei waren wir jahrelang Nachbarn gewesen. Ihre Eltern hatten das Haus neben dem meiner Eltern gekauft als wir noch zur Grundschule gingen. Sie war zwar in der Parallelklasse, aber ich hatte mich trotzdem auf den ersten Blick in sie verliebt. Sie war so wunderschön mit ihren dunkelblondem Haar, das sie inzwischen sehr viel heller trug und der zarten Haut, die jetzt mit der Bräune ihres letzten Spanienurlaubs überzogen war. Sie war geschminkt und perfekt gestylt und doch erkannte ich unter dem Make Up eindeutig das Mädchen, dass mir von der ersten Sekunde an den Kopf verdreht hatte. Julia. Die Liebe meines Lebens.




      Und sie erkannte mich nicht mehr. Dabei hatte ich mich im Gegensatz zu ihr kein bisschen verändert. Andererseits konnte man ihr das nicht übel nehmen. Immerhin hatte ich es während der ganzen Zeit, in der wir Nachbarn waren, höchstens zwei Mal angesprochen. Und jedes Mal war ich danach einfach davon gelaufen.
      “Ah! Georg! Wie schön, dich zu sehen! Ich wusste gar nicht, dass du Jake auch kennst!”
      Mit diesen Worten riss sie mich aus meinen Erinnerungen.
      “Ähm… ich heiße Gregor…”, nuschelte ich leise, um dann aber noch schnell hinzuzufügen: “Aber wenn dir das lieber ist, kannst du mich auch Georg nennen. Also, wenn dir der Name besser gefällt oder so…”
      Ich hätte mich selbst ohrfeigen können. Wie konnte man sich nur so dämlich anstellen? Aber Julias bloße Gegenwart machte mich einfach ganz verrückt. Sie war das wunderbarste Wesen, das ich kannte.
      “Oh, Gregor, natürlich! Tut mir Leid!”
      Ihre Entschuldigung klang nicht wirklich nach einer und sie sah mich dabei auch noch nicht einmal an.
      “Sag mal, hast du Jake gesehen? Ich hab ihn noch gar nicht begrüßt.”
      Natürlich, war ja klar. Sie suchte nach Jake. Wieso nur bekamen manche Männer alle Frauen und andere gar keine? Das war einfach nicht fair.
      “Der besorgt meiner Mitbewohnerin gerade ein paar Drinks.”
      Ich versuchte trotz der Enttäuschung weiterhin freundlich zu bleiben. Immerhin konnte Julia doch nichts dafür, dass das Leben keine Ahnung von Fairplay hatte. Aber obwohl ich mir sicher war, dass keine negative Emotion in meiner Stimme mitschwang, verfinsterte sich Julias Blick plötzlich.
      “Er tut was? Dieser verdammte…”
      Die Schimpfwörter, mit dem sie Jake bedachte, konnte ich nicht mehr verstehen, denn sie war bereits an mir vorbei gerauscht. Also entweder hatte ich gerade unbewusst etwas richtig gemacht oder das war der größte Fehler, den ich überhaupt machen konnte. Etwas nervös folgte ich der schönen Blonden. Zu meiner Überraschung lief sie einfach an der Bar vorbei und direkt in einen anderen Raum, der sich als Jakes Schlafzimmer entpuppte.


      “Jake, du verdammter Mistkerl! Wie kannst du nur?”
      Julia stürmte auf Jake zu, der eben noch seelenruhig mit Luzi auf dem Bett gesessen hatte, und gab ihm eine schallende Ohrfeige.
      “Ich dachte, du würdest mich lieben! Dass du mir so weh tust…”
      Der Rest des Satzes ging in ihrem Schluchzen unter.
      “Aber Süße! Es ist nicht so, wie es aussieht. Wir haben nur geredet. Glaub mir doch, ich liebe nur dich und würde dir nie weh tun.”
      Jake war aufgesprungen und hielt Julia an der Hand fest, damit sie nicht einfach weg rennen konnte. Seine Erklärungsversuche schien sie nicht zu glauben, denn mit ihrer freien Hand gab sie ihm eine weitere Ohrfeige.
      Aber trotz dem hohen Gehalt an Action und Gewalt konnte der Streit des Paares meine Aufmerksamkeit nicht von Luzi ablenken. Mit regem Desinteresse saß sie noch immer auf dem Bett und beobachtete die Szene. Als würde sie überhaupt nichts damit zu tun haben. Nein. Als würde sie es noch nicht einmal sehen. Egal wie laut Julia schrie, egal wie oft sie Jake ohrfeigte, egal wie verzweifelt er versuchte, ihr die Situation zu erklären… Luzi blieb vollkommen kalt.




      Dass Julia es schaffte sich von Jake loszureißen und endlich aus der Wohnung zu stürmen, bekam ich kaum mit. Aber dass Jake mich packte und mir seine Faust ins Gesicht donnerte, riss mich dann doch aus meinen Gedanken und von den Füßen.
      “Du Wichser, hast du sie hergebracht und ihr eingeredet, ich würde sie betrügen? Ich mach dich kalt!”
      Und schon stürzte er sich auf mich, um seine Drohung wahr zu machen. Und da war er nicht der Einzige. Offenbar hatte Julias Geschrei einige Zuschauer angelockt und Jakes Kumpel zögerten nicht, dem Gastgeber zur Hilfe zu eilen. Nicht, dass er diese Hilfe gebraucht hätte. Schon allein seine Schläge reichten aus, um mich ins Land der Träume zu schicken. Da wäre ich zu gern geblieben, aber die Schläge der anderen holten mich schmerzhaft zurück. Einer davon traf mein Gesicht und ich konnte mein Nasenbein knacken hören. Auf den Schmerz der davon ausging konnte ich mich allerdings nicht konzentrieren. Dafür war ich zu sehr mit den Tritten, die meinen Bauch- und Lendenbereich trafen beschäftigt.
      Meine Hände verkrampften sich schützend über meinem Kopf, während ich die Beine so nah wie möglich an meinen Körper zog und mich zur Seite rollte. So hatten sie jetzt zwar auch noch meinen Rücken, den sie mit ihren Prügeln bearbeiten konnten, aber zumindest die lebenswichtigen Organe waren einigermaßen geschützt. Auf die Idee, mich zu wehren, kam ich nicht einmal. Allein schon der Versuch wäre absolut sinnlos gewesen. Meine einzige Chance bestand darin, mich so gut wie möglich zusammenzurollen und darauf zu hoffen, dass irgendjemand die Polizei rufen würde.



      Und tatsächlich hörte ich nach einer Weile das unverkennbare Heulen der Polizeisirene. Im selben Moment, in dem Jake meinen Arm von meinem Kopf wegriss, um mir mit einem Schlag ins Gesicht den Rest zu geben.
       
      Ich wagte es nicht, die Augen zu öffnen, als ich wieder zu mir kam. Die Schläge hatten aufgehört. Vielleicht hielten sie mich für tot. Machten das Tiere nicht auch so? Sie stellten sich tot, damit der Angreifer das Interesse an ihnen verlor. Definitiv ein Trick, den man sich abgucken sollte. Aber was, wenn das angreifende Tier Hunger hatte und das sich tot stellende auffraß? Der Gedanke beschäftigte mich noch gute drei Sekunden, denn dann spürte ich, wie sich jemand an meiner Nase zu schaffen machte. Ein scharfer Schmerz ließ mich zusammenzucken. Ich erinnerte mich an das Knacken. Sicher war meine Nase gebrochen.
      Vorsichtig öffnete ich die Augen. Das Erste, das mir klar wurde war, dass ich nicht mehr in Jakes Wohnung war. Ich lag auf der Couch in meinem Loft und meine Nase wurde auch nicht von irgendeinem Schläger noch mehr verunstaltet. Stattdessen hingen dunkle Haare in mein Gesicht und ich blickte in Luzis leuchtend pinkfarbene Augen. Sie war gerade damit beschäftigt, meine Nase zu schienen. Ich unterdrückte den Impuls sie zu fragen, ob sie überhaupt das nötige Know How für so etwas hätte und ob wir nicht lieber einen Sanitäter holen sollten. Eigentlich tat ich das nur aus Angst vor ihrer Reaktion. Irgendetwas an ihr war mir einfach nicht geheuer. Sie war so… gefühllos. Nachdem ich dann aber eine Weile regungslos liegen geblieben war, und ihr zugesehen hatte, fiel mir noch ein zweiter Grund auf, aus dem ich sie nicht unterbrechen sollte: Es fühlte sich gut an, von ihr versorgt zu werden. Ihre Hände waren überraschend zart und weich. Gar nicht kratzbürstig, wie es ihr Verhalten manchmal vermuten lassen würde. Auch die Art, wie sie sich um mich kümmerte war geradezu zärtlich. Ich glaube, so musste es sich anfühlen, wenn man von jemanden berührt wurde, dem man viel bedeutete. Nicht auf die Weise, wie die eigene Mutter einen mochte. Nein, es war eine andere Art von Berührung.



      Ich spürte, wie mein Gesicht ganz heiß wurde und drehte mich eilig weg. Hatte ich mir gerade ernsthaft vorgestellt, auch noch wo anders so von ihr berührt zu werden? Wenn Luzi das wüsste, würde sie mir sicher den Kopf abreißen. Oh Gott, hoffentlich konnte sie meine Gedanken nicht an meinem Gesicht ablesen! Ich musste irgendetwas sagen… sie irgendwie ablenken…
      “Wo sind Riko und Bogomir?”
      Hah! Gerettet! Sehr schön. Ein absolut nicht erotisches oder anzügliches Gesprächsthema.
      “Die erklären der Polizei, was passiert ist.”, antwortete Luzi knapp und trocken, wie man es von ihr gewohnt war.
      “Polizei?”
      Natürlich. Die Polizeisirene. Vermutlich waren es auch Bogomir und Riko gewesen, die die Polizei eingeschaltet hatten.
      “Muss ich auch aussagen?”
      Ich hatte nicht wirklich Lust dazu. Mein Kopf tat weh, von meiner Nase ganz zu schweigen. Und außerdem war es gerade so schön, einfach nur dazuliegen.
      “Nein, ich hab das schon geregelt. Sie brauchen deine Aussage nicht.”
      Ohne auch nur die kleinste Gefühlsregung zu zeigen, vollendete Luzi ihr Meisterwerk auf meiner Nase. Ich wusste nicht, was sie mit ‘geregelt’ meinte. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich es auch gar nicht wissen wollte.
      Plötzlich stand Luzi auf und ging - ohne ein Wort zu sagen - in Richtung Treppe. Sicher wollte sie sich schlafen legen. Mich allein lassen. Nein, ich wollte nicht, dass dieser Abend so abrupt endete. Aber wie sollte ich sie aufhalten? Ich musste irgendetwas sagen!
      “Es… es tut mir Leid, dass du mich so sehen musstest! Ich bin eigentlich kein Schwächling!”



      Ich wusste nicht, wen ich mit dieser Lüge beeindrucken wollte. Luzi auf jeden Fall nicht. Sie musste längst wissen, was für ein Loser ich war. Aber zumindest blieb sie stehen und drehte sich noch einmal zu mir um, um mich anzusehen.
      “Doch, du bist ein Schwächling.”
      Das war mehr als deutlich. Ich weiß nicht, welche Wirkung sie sich von ihren Worten erhofft hatte. Vermutlich gar keine. Vermutlich war es ihr egal. Und das machte mich wütender, als die Worte selbst.
      Ich richtete mich auf und sah sie mit festen Augen an. Woher ich diese Kraft nahm, wusste ich selbst nicht so recht. Aber was ich wusste war, dass ich sie nicht gehen lassen wollte, so lange sie so über mich dachte.
      “Nein, das bin ich nicht! Wie viele waren es? Ein Dutzend? Ein Dutzend gegen einen! Ich müsste schon Superman sein, um nicht gegen so viele in die Knie zu gehen.”
      “Du wärst auch in die Knie gegangen, wenn es nur einer gewesen wäre.”, antwortete Luzi ruhig. Ihr Gesichtsausdruck war noch immer unverändert.
      “Nein, das wäre ich nicht! Dann wäre es ein fairer Kampf gewesen!”
      Vielleicht waren es nur die Schmerztabletten, die Luzi mir eingeflösst haben musste, die meine Sinne so weit benebelten, dass ich so etwas für möglich hielt. Aber das war mir in diesem Moment egal.
      “Ich bin stark!”
      Das letzte Wort bewirkte tatsächlich eine Regung auf Luzis Gesicht. Sie zog eine Augenbraue hoch.
      “Das ihr Menschen ständig lügen müsst.”
      Dann ging sie mit langsamen Schritten auf mich zu. Immer ein Bein direkt vor das andere. Wie ein Model. Sie war so unglaublich schön…
      “Eigentlich spiele ich ja nicht mit Jungs wie dir. Du bist nicht mein Stil. Aber wenn du wirklich so unbedingt groß und stark sein willst, dann mache ich für dich eine Ausnahme.”
      Sie schwang eines ihrer langen Beine über die meinen und setzte sich auf meinen Schoß, um dann die Hände auf meine Wangen zu legen. Ihr Gesicht war dem meinen so nah, dass ich ihren Atem spüren konnte. Ihre Augen… ihre Lippen… ihr Gewicht auf meinem Körper… all das raubte mir beinahe den Verstand.
      “Also? Bist du bereit, dich auf mein Spiel einzulassen?”
      Während sie sprach streichelten ihre Lippen ganz sacht über die meinen. Ich hatte keine Ahnung, was ihr Spiel war und noch viel weniger kannte ich die Regeln. Aber das war mir egal. Meine Antwort stand fest.
      “Ja.”