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      Nasse Füße

      Nasse Füße

      Und wieder einmal warte ich auf dich. Ich sitze an der Bushaltestelle, Ecke Kellergasse und warte auf dich.



      Die Bänke aus kaltem Metallgitter sind von einem auf der einen Seite offenem Glashäuschen umgeben. Es regnet. Der Regen hämmert auf das Glasdach über mir. Das Dach schützt mich. Allerdings ist der Bürgersteig, auf dem die Bushaltestelle steht, leicht abschüssig und das Wasser läuft mir in die Schuhe. Es sind schöne Schuhe. Schön, aber nicht praktisch. Hellgraue Stiefeletten mit kleinem, hellbraunem Keilabsatz, hellen Schnürsenkeln, ein Kunstfellaufsatz am oberen Rand. Schön, aber nicht praktisch. Genauso wie die schwarze Röhrenhose, durch deren feinen Stoff ich das kalte Gitter der Bank deutlich spüre. Auch die modische, kurze, hellgraue Jacke, in deren Taschen ich meine Hände vergrabe, passt in das Bild. Schön, aber nicht praktisch. Mir ist kalt. Trotzdem sitze ich hier, an der Bushaltestelle, Ecke Kellergasse und warte auf dich. So, wie ich jeden Tag hier sitze und auf dich warte. Es ist keine Verabredung. Ich käme mir lächerlich vor, wenn ich mich mit dir verabreden würde. Ich hätte Angst, dass du nein sagst. Nicht, weil du mich nicht mögen würdest. Nein. Du würdest es bedauern, aber du hättest keine Zeit. Dein Job. Du hast noch so viel zu erledigen. Du weißt nicht, wie du das alles schaffen sollst. Du kannst mir nicht versprechen, dass du die Verabredung einhalten kannst und sagst daher von vornherein nein. Also bitte ich dich nicht darum. Stattdessen sitze ich hier und warte auf dich. Bushaltestelle Ecke Kellergasse. Die Bushaltestelle, an der du jeden Abend einsteigst, wenn du von der Arbeit nach hause fährst.
      Ein paar andere Leute kommen an die Bushaltestelle. Sie stellen sich zu mir unter das Glasdach, schimpfen über den Regen. Ich sage nichts. Ich warte auf dich. Vielleicht sind ein paar von diesen Leuten Arbeitskollegen von dir. Ich weiß es nicht. Ich kenne deine Kollegen nicht. Und du erzählst mir so gut wie nichts von ihnen. Allgemein erzählst du mir so gut wie nichts. Nichts von deiner Arbeit. Nichts von deinem Leben. Nichts von dir. Vielleicht glaubst du, es interessiert mich nicht. Vielleicht willst du nicht von der Arbeit reden, wenn du bei mir bist. Vielleicht findest du aber auch, es geht mich nichts an. Ich weiß es nicht. Und wenn ich dich frage meinst du nur, du wüsstest nicht, was du mir erzählen solltest.
      Ich erzähle dir viel. Wenn mir etwas Lustiges passiert ist. Wenn ich mich gefreut hab. Wenn mich etwas beschäftigt. Und manchmal glaube ich sogar, du freust dich, wenn ich dir all das erzähle. Sicher bin ich mir aber nie. Vielleicht sage ich dir heute, dass ich doch echt dämlich bin, bei so nem Wetter diese Schuhe zu tragen und dass ich schon ganz nasse Füße hab. Dann wirst du sicher lachen.
      Der Bus kommt.



      Niemand steigt aus, aber die Leute, die eben gekommen sind, steigen ein. Ich steige nicht ein. Du bist noch nicht da, also steige ich nicht ein und warte weiter. Ich weiß in etwa, wann du aus hast, aber ich weiß auch, dass du trotzdem nie pünktlich an der Bushaltestelle bist. Vielleicht bleibst du immer länger im Büro. Vielleicht gehst du auch noch schnell irgendwo was essen, bevor du nach hause fährst. Bei der Imbissbude, zwei Häuserblocks weiter vielleicht. Ich weiß es nicht. Du wirst es mir sicher sagen, wenn du kommst. Du wirst kommen und mich überrascht ansehen. Dabei weißt du genau, dass ich jeden Tag hier bin und auf dich warte. Trotzdem wirst du zuerst überrascht aussehen. Dann wirst du einen entschuldigenden Blick aufsetzen und so was sagen wie: “Oh nein, du bist noch da. Ich hab gedacht, du wärst schon gefahren, weil ich so lange gebraucht hab.”
      Eigentlich meinst du damit, dass jeder normale Mensch längst weg wäre. Niemand wartet so lange auf jemanden. Darum hast du dich auch nicht beeilt, weil du dachtest, ich würde nicht warten. Dabei solltest du es inzwischen besser wissen.
      Dann wirst du mir sagen, warum du so lange gebraucht hast.
      “Ich hab noch nen Stapel Arbeit rein bekommen.”, oder auch: “Ich hab mir noch schnell was vom Imbiss geholt.”
      Weitere Erklärungen wirst du nicht abgeben. Aber ich bin schon froh, wenn du überhaupt etwas sagst, mit dem du mich an deinem Leben Teil haben lässt. Ich werde mich freuen, wenn du dich zu mir setzt, um auf den nächsten Bus zu warten. Vielleicht machst du mir sogar ein Kompliment, wenn ich dich darauf hinweise, dass ich mich für dich schön gemacht hab. Vielleicht legst du sogar deinen Arm um mich, wenn ich dir sage, dass ich friere.
      Die Busse hier gehen im zehn Minuten Takt. Das ist die maximale Zeit die wir haben, um nebeneinander auf der Bank zu sitzen. Ich erzähle, du hörst zu, sagst selbst kaum etwas, freust dich vielleicht über das, was ich sage. Dann kommt der Bus. Wir steigen ein. Meistens gibt es keine freien Sitzplätze. Zumindest keine zwei nebeneinander. Aber wenn es einen freien Sitzplatz gibt, dann bist du höflich und meinst, ich solle mich hinsetzen. Du bleibst stehen. Dann schüttle ich den Kopf und bleibe ebenfalls stehen.
      Der Bus ist voll und die Fahrt eine wacklige Angelegenheit. Trotzdem genieße ich jede Sekunde, in der ich neben dir stehe. Obwohl wir dieses Mal beide schweigen. Es ist mir unangenehm vor all den Leuten den ganzen Blödsinn zu reden, den ich dir immer erzähle. Und du erzählst mir ja nichts. Also schweigen wir beide.



      Die Fahrt dauert ca. eine Viertelstunde, dann steigen wir an der selben Bushaltestelle aus. Unsere Wohnungen liegen in entgegengesetzter Richtung. Trotzdem begleitest du mich noch nach Hause. Ich frage dich nicht, ob du noch mit rein kommen willst. Ich weiß, dass du nein sagen wirst. Du bedauerst es, aber du bist zu müde. Du möchtest einfach nur noch schlafen. Ich weiß, dass es so ist. Also frage ich dich nicht. Ich käme mir lächerlich vor, wenn ich mir jeden Abend eine Abfuhr von dir holen würde und du würdest dich vielleicht auch nicht wohl dabei fühlen. Vielleicht wärst du auch genervt von mir. Beides möchte ich nicht.
      Du wirst dich liebevoll von mir verabschieden. Nicht hektisch. Und du wirst mir die Zeit geben, die ich brauche, um dich gehen zu lassen. Schon allein, weil du mir nicht weh tun willst. Du nimmst immer Rücksicht auf mich, darum weiß ich nie, ob ich dich zu sehr bedränge, übertreibe oder ob du mich nicht mehr magst. Darum halte ich mich oft lieber zurück, anstatt dir zu sagen, dass ich mich gerne auf dich verlassen könnte. Dass ich mich gerne mit dir verabreden würde und dann wärst du pünktlich um mit mir zu reden und mir das Gefühl zu geben, dass ich dir ebenso wichtig bin, wie du mir. Ich sage dir nicht, dass ich traurig bin, wenn du keine Zeit für mich hast.
      Ich glaube nicht, dass du weißt, wie viel du mir wirklich bedeutest. Und vielleicht ist das auch besser so. Denn vielleicht würdest du mich nicht mehr mögen, wenn du wüsstest, dass ich anfange zu weinen, sobald du mir den Rücken zudrehst, um nach hause zu gehen. Vielleicht würdest du mir nicht mehr mögen, wenn du wüsstest, dass ich manchmal sauer auf dich und deinen Job bin, weil du keine Zeit für mich hast. Aber weil mir kaum etwas mehr Angst macht, tu ich so als ob es mir gut ginge. Als ob es für mich ok wäre.
      So läuft es jeden Tag und so wird es sicher auch heute laufen. Letztendlich werde ich wieder unglücklich sein. Aber bis es soweit ist sitze ich hier an der Bushaltestelle, Ecke Kellergasse, im strömenden Regen mit nassen Füßen und warte auf dich.

      Der Blick auf die Uhr

      Der Blick auf die Uhr

      Müde wandert mein Blick von dem Stapel Arbeit vor mir auf die Uhr und wieder zurück.



      Meine Arbeitszeit ist schon seit einer halben Stunde rum. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass ich länger bleibe. Nicht, weil ich muss, sondern weil ich es so will.
      Die Sätze, Wörter, Buchstaben, Satzzeichen und Zahlen vor mir drehen sich im Kreis, verschwimmen. Ihr Sinn will sich mir nicht mehr erschließen. Die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, ist mir schon vor über einer Stunde abhanden gekommen. Denn seit einer Stunde frage ich mich ständig, ob du heute wieder da sein wirst. An der Bushaltestelle, Ecke Kellergasse. Bis jetzt warst du immer da. Hast auf mich gewartet, damit wir gemeinsam zurück fahren können. Und doch habe ich jeden Tag Angst, dass du dieses Mal nicht da sein könntest. Immerhin sind wir nicht verabredet oder so. Ich habe nie Gewissheit, ob du da bist oder nicht. Denn du gibst nie vorher bescheid, ob du auf mich warten wirst oder nicht. Du könntest einen Bus früher fahren. Oder gar nicht erst auftauchen. Vielleicht, weil du irgendetwas Wichtigeres zu tun hast. Immerhin war doch so ziemlich alles wichtiger, als gemeinsam an der Bushaltestelle zu sitzen und zu warten, oder? Ja, zumindest sollte alles andere wichtiger sein. Die weltlichen Dinge. Arbeit. Besitz. Geld. Vielleicht auch Personen, die dir näher stehen, als ich. Deine Familie. Langjährige Freunde. Du hättest viele Gründe, um nicht auf mich zu warten, da bin ich mir sicher. Umso mehr freue ich mich jedes Mal, wenn du es doch tust.
      Ich würde für dich alles links liegen lassen. Würde nicht eine halbe Stunde später, sondern eine halbe Stunde früher aus der Arbeit verschwinden. Würde meine Mittagspausen lieber mit dir verbringen, anstatt mit meinen Kollegen. Einfach, weil du mir so unendlich viel bedeutest und ich so gerne in deiner Nähe bin. Aber natürlich sage ich dir das nicht. Das wäre doch lächerlich. Sicher würdest du mich für bescheuert halten. Mich nicht mehr mögen. Dich zu sehr bedrängt fühlen. Also tu ich so, als ob es für mich auch wichtigere Dinge gäbe, als dich und verschwinde nicht eine halbe Stunde früher aus der Arbeit sondern bleibe eine halbe Stunde länger.
      Noch einmal versuche ich mich auf die zusammenhangslos erscheinenden Worte vor mir zu konzentrieren, deren Sinn mir sonst so geläufig ist. Doch ganz automatisch gleitet mein Blick wieder nach oben. Dieses Mal zum Fenster.



      Es regnet. Die Bushaltestelle ist überdacht. Ein auf der einen Seite offenes Glashaus, wie es inzwischen fast überall der Fall ist. Aber - gesetzt den Fall, du bist überhaupt da - sicher hast du es trotzdem geschafft, zumindest nasse Füße zu bekommen. Sicher trägst du wieder irgendein hübsches Paar Schuhe, das besser im Schaufenster stehen geblieben wäre, weil es für die Straße absolut ungeeignet ist. Überhaupt scheint dein ganzer Kleiderschrank nur für ein Motto zu stehen: Wer schön sein will muss leiden.
      Ein kleines Grinsen huscht über mein Gesicht. Ob du davon erzählen wirst, wenn ich komme? Hoffentlich. Ich höre dir so gerne zu. All die Kleinigkeiten, die dir ständig passieren. Und vor allem die Art, wie du mir davon erzählst. So lächerlich hilflos, dass du selbst darüber lachen musst. Du weißt ganz genau, dass die Schuhe nicht wasserfest sind. Dass der Stoff der Hose zu dünn ist. Dass die Jacke nicht warm hält. Sicher ist dir kalt. Ich sollte zu dir gehen und dir zumindest meine Jacke anbieten. Aber vielleicht komme ich dir dann zu aufdringlich vor. Oder du hältst mich für einen übervorsichtigen Vollidioten, der sich gern in anderer Leute Leben einmischt. Dabei ist das gar nicht so falsch. Ich würde mich gerne in dein Leben einmischen. Wäre gern ein Teil davon. Aber ich will mich dir nicht aufdrängen. Also biete ich dir meine Jacke nicht an. Erst, wenn du von dir aus sagst, dass dir kalt ist, werde ich es nicht mehr aushalten und sie dir anbieten. Ich möchte nicht, dass du frierst. Ich möchte nicht, dass es dir in meiner Gegenwart schlecht geht. Eigentlich möchte ich, dass es dir niemals schlecht geht. Alles, was ich will, ist mit dir an der Bushaltestelle zu sitzen und deinen Worten zu lauschen, während wir gemeinsam auf den Bus warten. Manchmal fragst du mich, ob ich nicht auch etwas zu erzählen hätte, ob mir irgendetwas Spannendes in der Arbeit passiert wäre. Aber was soll ich dir denn sagen? Dass ich spätestens eine halbe Stunde vor Arbeitsschluss anfange, ständig auf die Uhr zu blicken und mich frage, ob du heute wieder auf mich wartest? Damit du mich für bedürftig hältst? Nein, das kann ich nicht. Und alles andere aus meinem Leben würde dich sicher langweilen. Ich bin nun mal nicht so spannend und unterhaltsam, so perfekt wie du. Also höre ich dir lieber einfach nur zu. Sicher wirst du mich wieder zum Lachen bringen. Und sicher werden die Minuten, in denen wir warten viel zu schnell vergehen. Der Bus kommt und wir steigen ein, obwohl ich lieber noch auf den nächsten warten würde. Oder auf den Übernächsten. Oder für immer. Für immer an der kleinen Bushaltestelle, Ecke Kellergasse sitzen. Im strömenden Regen. Notdürftig geschützt von einem Glashäuschen, das an einer Seite offen ist. Mit dir.
      Aber stattdessen steigen wir in den Bus. Wie immer wird er total überfüllt sein. Aber mit etwas Glück ist ein Platz frei geblieben, den ich selbstverständlich dir anbiete. Nicht nur, weil es höflich ist, sondern auch, weil ich einfach will, dass du es gut hast. Aber wahrscheinlich wirst du wieder nur den Kopf schütteln und mit mir stehen bleiben. Und insgeheim freue ich mich darüber, denn so habe ich dich viel näher bei mir. Auch, wenn du mich die ganze Fahrt über nur anschweigen wirst. Vielleicht bist du gekränkt, weil ich dich die ganze Zeit habe reden lassen und selbst kaum ein Wort gesagt hab. Das tut mir leid. Ich würde dir so gerne auch etwas Lustiges erzählen. Aber mir fällt einfach nichts ein. Also stehen wir schweigend im Bus, halten uns fest, um bei den vielen Schlaglöchern in der Straße das Gleichgewicht nicht zu verlieren.



      Nach gut 15 Minuten ist die Fahrt vorbei und wir steigen an der selben Bushaltestelle aus. Eigentlich könnten wir uns hier schon verabschieden, denn unsere Wohnungen liege in entgegengesetzter Richtung. Aber ich möchte noch ein paar Minuten mit dir genießen und darum begleite ich dich bis zu dir nach hause. Jedes Mal hoffe ich, dass du mich noch mit rein bitten wirst. Aber du tust es nicht. Sicher bin ich dir zu langweilig. Du wartest nur aus purer Höflichkeit auf mich, das weiß ich. Darum will ich dich nicht weiter bedrängen und verabschiede mich. Auch, wenn es mir nicht leicht fällt. Ich lasse mir viel Zeit dabei und bin froh, dass du mir das gestattest. Dann aber reiße ich mich doch von dir los. Ohne dir gesagt zu haben, dass ich lieber bei dir bleiben würde. Ohne dir gesagt zu haben, wie viel du mir bedeutest. Ohne dir gesagt zu haben, dass ich gerne wüsste, wann du auf mich wartest, um dann rechtzeitig bei dir zu sein, damit du nicht frieren musst. Ich käme mir lächerlich vor, wenn ich dir all das sagen würde, also tu ich es nicht. Sicher würdest du mich nicht mehr mögen, wenn du wüsstest, dass das Lächeln in meinem Gesicht verschwindet und purer Einsamkeit weicht, sobald ich dir den Rücken zu drehe. Manchmal wünsche ich mir, du würdest von deinem hohen Ross herunterkommen, und mir die Chance geben, dich zu erreichen.
      So läuft es jeden Tag und so wird es sicher auch heute laufen. Letztendlich werde ich wieder unglücklich sein. Aber bis es soweit ist schlage ich die Zeit tot, indem ich sinnlose Sätze, Wörter, Buchstaben, Satzzeichen und Zahlen anstarre, während mein Blick immer wieder zur Uhr wandert.